Eindrücke von der 8. Uslar-Konferenz
von Lisa Böhm
18. bis 20. März 2018
(Informationen zu den nächsten Uslar-Konferenzen finden Sie am Ende dieser Seite.)
Diese seit 2006 von Dieter Dicke vorbereiteten und moderierten Konferenzen sind zugleich DGfS-Mitglieder- und Interessierten-Treffen. Sie können in drei Angebotsstränge geteilt werden:
- Der Vortragsteil steht dieses Mal unter dem Motto
Könnte es auch ganz anders sein?
Anfängergeist – Forschergeist
Gelingt es wissenschaftlicher Forschung und Spiritualität einander achtsam zu begegnen?
- Der Workshop-Teil setzt sich aus drei Quellen zusammen:
- Workshops zu den Vorträgen
- den von teilnehmenden Kollegen aus ihrer praktischen Arbeit mitgebrachten
- den aus der Reflexion zum Thema, was bis zum Ende der Konferenz mit KollegenInnen beleuchtet werden soll, entstandenen.
- Neue Nachrichten aus dem Vereinsgeschehen.
- Und natürlich gibt es viel Raum für Austausch, Wiedersehen und neu Kennenlernen.
Dieter Dicke beginnt mit den Informations-Aufstellungen zu den Teilnehmern, wodurch deren Herkunft nach Bundesländern und aus dem Ausland sichtbar wird. Eine zweite Aufstellung zeigt die Aufteilung der Teilnehmer in Mitglieder, Nichtmitglieder, Aufsteller, anerkannte Aufsteller und Anerkannte Lehrtherapeuten. Anschließend treffen sich die Kleingruppen zum Austausch, aus dem sich die Workshopthemen entwickeln und später vorgestellt werden.
In der Pause werden diese und die bereits mitgebrachten Vorschläge bepunktet, so dass insgesamt eine interessante Mischung von 15 Workshops für Montagnachmittag und Dienstagvormittag zur Auswahl steht.
Darauf folgt der erste Vortrag, den Harald Homberger hält:
Dieser eine Augenblick – das Aufstellungsgeschehen im Spiegel des Bewusstseins
Der Referent hat einen facettenreichen, beruflichen Bildungs- und Werdegang und bietet mit mehr als neuntausend geleiteten Aufstellungen einen großen Erfahrungsschatz. Seine Haltung und die Beschreibungen des Aufstellungsgeschehens sind von der Welt der Spiritualität, im Speziellen der Meditation, Kontemplation und der Yogatradition durchdrungen bzw. inspiriert. Er konzentriert sich in seinen Ausführungen auf die Haltung des Anfängergeistes und das reine Beobachten, und beschreibt, wie es sich ins Aufstellungsgeschehen fügt und wirkt. Vieles deckt sich mit der Beschreibung der phänomenologischen Sicht und Haltung, in der detaillierten Beschreibung des Resonanzgeschehens und der Pendelbewegung zwischen reinem Beobachten und bewusstem Handeln im Jetzt (und Jetzt und Jetzt) wird deutlich, dass damit ein vertieftes Wahrnehmen gefördert wird. Dadurch ist jede Aufstellung neu, keine ist wie eine andere und sein Resümee ist: Aufstellung ist eine Meditation mit therapeutischen Nebenwirkungen.
Der Vortrag ist nachzulesen unter dem nachfolgenden Link:
Dieser eine Augenblick - das Aufstellungsgeschehen im Spiegel des Bewusstseins
Der Montagmorgen beginnt mit Vorträgen, bei denen der Forschergeist durch drei Referenten vertreten wird:
Den ersten Vortrag gestalten Professorin Dr. Kirsten Nazarkiewicz und Dr. Frank Oberzaucher gemeinsam. Kirsten Nazarkiewicz ist über einen schillernden ungewöhnlichen Berufsweg mit vielen Stationen heute Professorin für interkulturelle Kommunikation an der Universität Fulda. Frank Oberzaucher ist Diplomsoziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz. Sie referieren über die Aufstellungsarbeit als (außer-)alltägliche interaktive Konstruktion und berichten über ihre gemeinsame Forschungstätigkeit im Bereich Mikroanalyse von Systemaufstellungen. Kirsten Nazarkiewicz erklärt, dass das Ziel der Untersuchungen ist, die interaktive Wirkdimension und das konkrete Vorgehen aufstellerischen Handelns zu erschließen. Die Methoden der Wahl sind Sozialforschung, Videoaufzeichnungen, Transskripte, Mitschriften mit der Kernfragestellung
WARUM DIES JETZT? Nicht nur, die zahlreichen weiteren Fragen beziehen sich auch auf die Relevanz von Aktivitäten und Interaktionen, Kongruenz von Körpersprache und verbalen Äußerungen, die Stimmigkeit der Stellvertreteraussagen und die Sequenzlogik von Such- und Findungsfragen. In beeindruckend lebendiger Form und Geschwindigkeit tragen die beiden ihre Referate vor. Frank Oberzaucher berichtet von seiner Motivation sich der Forschung zu widmen: Er will mehr darüber wissen, wie Interaktion im Alltag gelingt. Er verdeutlicht den Unterschied zwischen Expertenforschung und Anfängergeist, spricht über die Schwierigkeit, das eine mit dem anderen zu verbinden. Seine Reflexionen gehen dahin, den Alltag vom Anfängergeist durchdringen zu lassen, das würde bedeuten, eine neue Wahrnehmungsebene zu kultivieren, aus den Selbstverständlichkeiten und Sinnprovinzen herauszukommen und jede Bewegung nicht mehr typenhaft, sondern immer wieder neu zu sehen.
Beide Vorträge sind nachzulesen unter http://www.consilia-cct.com/vortraege.php
Dr. Georg Müller-Christ ist Professor an der Universität Bremen, sein Forschungsschwerpunkt ist nachhaltiges Management. In seinen Forschungs-Aufstellungen geht es ihm als Berufswissenschaftler darum, in fremde Systeme zu schauen, sie zu lesen und sich irritieren zu lassen. Dann ist Lernen möglich. Er verwendet das Bild der Blackbox, in das durch ein virtuelles Fenster auf die dort gespeicherten Erfahrungen, Glaubenssätze, Hypothesen des Klienten geschaut wird. In der Aufstellung werden Teile davon genommen und einer Betrachtung bzw. Beobachtung unterzogen. Beispielhaft zeigt er das mit der Aufstellung der Entitäten Intuition, Wirtschaft/Wissenschaft, Rationalität, später kommt der Legitimationszwang dazu. Der eröffnete Gestaltungsraum ermöglicht, dass das System selbst spricht. Die Aufstellungen sind doppelt verdeckt, d.h. das Thema ist nur dem Leiter bekannt und die Stellvertreter kennen es nicht, wissen auch nicht, wen sie vertreten. Die repräsentierende Wahrnehmung ist bezogen auf die Informationen aus der Intuition der Stellvertreter, nicht auf deren Körperwahrnehmungen. Am Schluss äußert er seinen Traum, den er als Berufswissenschaftler hat: Sagen zu können „Meine Hypothese stimmt, ich habe es an einer Aufstellung überprüft.“
Weitere Informationen:
http://www.wiwi.uni-bremen.de/gmc/mueller_christ.html
Bei den neuesten Informationen aus dem Vereinsgeschehen steht natürlich die Neuwahl des Vorstands im Vordergrund. Mit Christopher Bodirsky als Vorstandvorsitzendem und Claude Rosselet als Stellvertreter und Doris Feiler-Graziano als zweiter Stellvertreterin und dem Geschäftsführer der gGmbH und Schatzmeister Volker Fleing geht es in die nächste Runde. Bei der aus der Tradition von Jakob Schneider rührenden Taktstockübergabe von Dieter Dicke an Christopher Bodirsky verabschiedet sich Dieter Dicke mit Dankbarkeit für vier tolle Jahre der Zusammenarbeit. Christopher Bodirsky fasst seine Vorhaben in einer Metapher zusammen: Der Dirigent übernimmt den Taktstock, schwingt ihn takt-voll und dient damit einer in-takten DGfS. Dieter Dicke wird dann noch in einer Feedbackrunde des Vorstands gewürdigt: Er hat vieles auf den Weg gebracht, sich für Neues engagiert und war ein guter Teamleiter. Ergänzt werden diese Anmerkungen durch einige von Teilnehmern der Konferenz. Schließlich wird ihm ein fülliger Geschenkkorb überreicht, der laut der übergebenden Doris Feiler-Graziano eine Essenz im tiefsten Inneren verborgen hält.
An einer anderen Stelle wird der Übergang von der alten Praxis der Systemaufstellung – Printausgabe und der Stelland – online- Ausgabe in die neue PdS – Praxis der Systemaufstellung vorgestellt. Für das jährlich einmal erscheinende Themenbuch sind Peter Bourquin und Kirsten Nazarkiewicz verantwortlich. Sie berichten über das positive Feedback zum ersten Buch zum Thema Trauma und Begegnung, über das gegenwärtig entstehende zum Thema Einflüsse der Welt -Individuelles Schicksal im kollektiven Kontext, das inhaltlich bereits fertig ist und über das für 2019 anstehende zum Thema Essenzen der Aufstellungsarbeit.(http://www.praxis-der-systemaufstellung.de/themenbuch-133.html)
Kerstin Kuschik und Olivier Netter sind die verantwortlichen Redakteure für die online-Version der PdS. Sie berichten über die erst vor kurzem freigegebene erste Version mit allen Möglichkeiten, aber auch darüber, in welche Richtung sie sich weiterentwickeln kann, wenn weitere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. (http://www.praxis-der-systemaufstellung.de)
Dieter Dicke berichtet über die Aufstellerakademie, die zusammen mit Claude Rosselet und einem Team vorbereitet wird.
Am Dienstagvormittag stellt Marion Lockert ihr soeben erschienenes Buch mit den noch anwesenden Autoren vor: Perlen der Aufstellungsarbeit, eine Sammlung von Übungs-Anregungen für jede Lebenslage eines Aufstellers.
(https://www.carl-auer.de/aktuelles/neuigkeiten/beitrag/marion-lockert-hrsg-perlen-der-aufstellungsarbeit-leseprobe)
Am Dienstagmittag ist dieses in jeder Hinsicht reichhaltige Treffen zu Ende, die Gesichter der Teilnehmenden spiegeln Zufriedenheit. Es hat ermöglicht, dass sich Wissenschaft und Spiritualität in Uslar achtsam begegnen, unmittelbar hintereinander und gleichzeitig anwesend. Jede Richtung steht für sich und ist ganz anders. Es gibt keinen Raum und keine Zeit für den Aufbau von Intoleranzen. Vielmehr wird deutlich, wie sehr beide voneinander profitieren und sich ergänzen können. Viele Gründe sprechen dafür, sich wechselseitig in tiefer Weise anzuerkennen. Es bleibt spannend, wie es weitergeht.
Wir dürfen uns freuen, dass die Uslar-Konferenzen in Zukunft jährlich stattfinden und zunächst auch in den Händen von Dieter Dicke bleiben.
Ein großer Dank an alle Beteiligten.
30.3.2018
Lisa Böhm–De Philipp
Uslar-Konferenz 2019: So. 07.04.2019 – Di. 09.04.2019
Arbeitstitel: Resonanz – (In Anlehnung an Hartmut Rosa). Wie erklären wir unsere Wechselwirkung mit der Welt?
Keynote Speaker: Dr. Diana Drexler
Uslar-Konferenz 2020: So. 29.03.2020 – Di. 31.03.2020